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Digitales Deutsch-Russisches Expertenseminar am 20. Dezember 2021 zum Thema „Informationssysteme zur qualitativen und quantitativen Rückverfolgbarkeit von Getreide(-produkten). Praktische Lösungsansätze in Russland und Deutschland“

Am 20. Dezember 2021 führte die staatliche Institution „Föderales Zentrum für Bewertung der Getreidesicherheit und –qualität“ gemeinsam mit dem Deutsch-Russischen Agrarpolitischen Dialog (APD) ein Expertenseminar zum Erfahrungsaustausch über die „Informationssysteme zur qualitativen und quantitativen Rückverfolgbarkeit von Getreide (-produkten). Praktische Lösungsansätze in Russland und Deutschland” durch. Hintergrund ist die Einführung des „Föderalen Informationssystems zur Rückverfolgbarkeit von Getreide und Getreideverarbeitung“ ab 2022 in Russland. Das System übernimmt den Inhalt von Informationen über alle Organisationen, die an der Herstellung, Lagerung, Verarbeitung und dem Verkauf von Produkten und deren Konsumeigenschaften beteiligt sind. Die Einführung des Systems soll russischen Unternehmen ermöglichen, auf einem transparenten Getreidemarkt effektiv zu arbeiten und die Qualität und Sicherheit der Rohstoffe und der daraus hergestellten Produkte, die an inländische Verarbeitungsunternehmen geliefert oder exportiert werden, zu gewährleisten.

Alexander Djagilev, stellvertretender Projektleiter des Deutsch-Russisches Agrarpolitischen Dialogs, begrüßte die Teilnehmer und führte mit einer kurzen Erläuterung zum Hintergrund des Zustandekommens dieses Expertenseminars in die 90-minütige Veranstaltung ein. Die Veranstaltung fand im Online-Format über ZOOM mit Simultanübersetzung ins Russische und Deutsche statt. Teilnehmer waren neben den APD-Mitarbeitern und den vier Referenten, von denen je zwei aus Deutschland und zwei aus Russland berichteten, auch Herr Stefan Gerschewski, Referent für Ernährung u. Landwirtschaft bei der Deutschen Botschaft Moskau sowie Herr Wjatscheslaw Sergejewitsch Tschekalin, Agrarattaché an der Russischen Botschaft Berlin.

Frau Inna Georgievna Zaischenko, stellvertretende Leiterin des „Föderalen Zentrums für Bewertung der Getreidesicherheit und –qualität“ (Федеральный центр оценки безопасности и качества зерна и продуктов его переработки (ФГБУ)), stellte zu Beginn in ihrer Präsentation mit dem Titel „Aufbau und Weiterentwicklung eines Systems der Rückverfolgbarkeit bei Getreide und Getreideerzeugnissen“ das neue System vor. Die Einführung ist die Folge des Ende 2020 verabschiedeten Föderalen Gesetz „Zu Änderungen im Gesetz der RF „Über das Getreide““ und dort im Artikel 14 „Über die Entwicklung der Landwirtschaft“. Zaischenko erläuterte, dass hier einige Novellen eingebracht wurden, wovon die wichtigste die Umsetzung des staatlichen Monitorings von Getreide während der Ernte sei. Dieses wird durch das ФГБУ koordiniert. Es ist dem Russischen Landwirtschaftsministerium untergeordnet. Neben dem Aufbau, Entwicklung und Pflege des Föderalen staatlichen Rückverfolgbarkeitssystems für Getreide und Getreideerzeugnisse wird zurzeit ein Register für juristische Personen und Einzelunternehmer, die Getreidelager unterhalten und entsprechende Dienstleistungen anbieten, eingerichtet.

Zu den weiteren Aufgaben des ФГБУ zählen die Ausstellung der warenbegleitenden Unterlagen für Getreide und Getreideerzeugnis-Chargen sowie die Beschlagnahme, Prüfung, Rücknahme bzw. Entsorgung von Getreidechargen, die nicht den Anforderungen internationaler Verträge der Russischen Föderation entsprechen. Ebenso unterliegt die staatliche Kontrolle der Gewährleistung der Qualität und Sicherheit von Getreide und Getreideerzeugnissen dem Föderalen Zentrum. Die Führung des Registers juristischer Personen und Einzelunternehmer, die Getreide lagern und handeln, unterliegt hingegen direkt dem Landwirtschaftsministerium. Dafür hat die russische Regierung kürzlich eine Durchführungsverordnung verabschiedet. Die juristischen Personen und Einzelunternehmer müssen ihre Daten selber im Register eintragen. Die Überwachung des Registers übernimmt die Behörde Rosselchosnadzor. Ab dem 1. März 2022 sollen ebenfalls Produkte wie Reis, Stärke, Kleie, etc. in dem System eingetragen werden.

Frau Zaischenko beschrieb anschließend ausführlich die Warenbegleitdokumente und stellte detailliert die auszufüllenden Inhalte für die Getreideanbauer und -händler vor. Aktuell wird das System und die Warenbegleitpapiere von vier Landwirtschaftsunternehmen getestet. Weitere eingebundene Behörden sind ROSAKKREDITATSIA und die „Staatliche Einrichtung für Getreidemonitoring“.

Frau Bernikowa, Referentin für Fragen der Lebensmittesicherheit der "Getreidemühle Perm" AG, fragte nach, ob die Perm AG sich auch in dem Register registrieren lassen müsse. Da sie auch Teil der Wertschöpfungskette von Getreide sind, müssen sich laut Zaischenko auch die Mühlen dort registrieren. Sie müssen die Warenbegleitpapiere ihrer Lieferanten im System „löschen“, wie Zaischenko es nannte.

Als Vertreter des Getreidehandels erläuterte der Geschäftsführer des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse e.V. (VdG), Herr Christof Buchholz, in seinem Vortrag zur „Rückverfolgbarkeit im deutschen Getreidehandel“ zunächst die Definition der Rückverfolgbarkeit von Lebensmittel in Deutschland. Danach bedeute „Rückverfolgbarkeit die Möglichkeit, ein Lebensmittel durch alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen zu verfolgen. Dies wird dadurch gewährleistet, dass auf jeder Stufe der Lebensmittelkette zumindest der unmittelbare Vorlieferant und der unmittelbare Abnehmer bekannt und erfasst sind.“ (Def. Laut Lebensmittelverband). Anhand der Rückverfolgbarkeit sollte zu einem Produkt jederzeit festgestellt werden, wann, wo und durch wen die Ware hergestellt, verarbeitet, gelagert, transportiert, verbraucht oder entsorgt wurde. Herr Buchholz hob hervor, dass in Deutschland Lebensmittelunternehmer dazu verpflichtet seien, Systeme zur Rückverfolgbarkeit einzurichten. Behörden würden die Einhaltung kontrollieren und ggfl. Strafen bei Nicht-Einhaltung oder fahrlässiger Führung verhängen.

Herr Buchholz ging weiterhin auf den rechtlichen Rahmen ein, der in der EU über die sogenannte „Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts geregelt ist. In dieser Verordnung ist auch die Pflicht zur Dokumentation „Einen Schritt zurück - einen Schritt vor“ definiert, wonach die Systeme der Lebensmittelunternehmer den direkten Lieferanten und den direkten Abnehmer speichern und anzeigen müssen. Dabei präsentierte Herr Buchholz anhand eines Schaubildes, wie komplex die Wertschöpfungskette im Agrarhandel ist. Die Rückverfolgbarkeit von der Produktion über mehrere Verarbeitungsstufen und den Handel bis zum Endverbraucher zu garantieren, sei eine sehr anspruchsvolle aber notwenige Herausforderung, so Buchholz.

Abschließend ging Herr Buchholz auf die Regelungen für die Rückverfolgbarkeit außerhalb der EU ein, wie z.B. für den Import von Getreide aus Russland. Hier gelten nicht die gleichen Bestimmungen zur Rückverfolgbarkeit. So kann z.B. beim Import von Getreide aus einem Drittland i.d.R. nicht rückverfolgt werden, von welchem landwirtschaftlichen Erzeuger die Ware kommt. Dennoch müssen in die EU eingeführte Lebensmittel den entsprechenden Anforderungen des EU-Lebensmittelrechts erfüllen. Außerdem gebe es hinsichtlich spezifischer Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit individuelle Vereinbarungen zwischen Lebensmittelunternehmern und ihren Handelspartnern. Hier nimmt in Deutschland der Lebensmitteleinzelhandel eine immer bedeutendere Rolle ein und fordert zunehmend exakte Herkunftsangaben. Grundsätzlich werde die Rückverfolgbarkeit immer ernster genommen, so Buchholz abschließende Worte.

Die anschließende Nachfrage von Herrn Vladimir Schaykin, Berater beim ФГБУ, ob das System auch die Sicherheit der Produkte gewährleiste, antwortete Herr Buchholz mit einem klaren „Nein“, denn es stehe nicht die Produktqualität im Fokus der Rückverfolgbarkeit. Die Qualitäten und Sicherheiten der Produkte werden auf einer anderen Stufe durch eine andere Behörde geprüft.

Im zweiten Part des Expertenseminars wurden anhand von Praxisbeispielen aus Russland und Deutschland die Rückverfolgbarkeitssysteme für Getreide und seine Produkte veranschaulicht.

Frau Natalja Jurjewna Bernikowa, Referentin für Fragen der Lebensmittesicherheit der Getreidemühle Perm AG veranschaulichte mit ihrem Vortrag zum Thema „Dynamische Entwicklung entsprechend den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit“. Die Getreidemühle Perm ist eine der zehn größten Mühlen Russlands und verarbeitet täglich bis zu 1.000 t Getreide. Die wichtigsten Produkte sind Weizen- und Roggenmehl. Eines der Schlüsselkunden ist Nestlé Russland.

Nach einer anschaulichen Darstellung des Unternehmens fokussierte Frau Bernikowa ihren Vortrag auf das Qualitätsmanagement der Perm Mühle. Seit der Einführung der HACCP Konzeptes in 2013, wurden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die die Sicherheit der Produktqualitäten gewährleisten soll. Dazu zählen u.a. eine festdefinierte Beschreibung der Rohstoffe und Erzeugnisse, Verpackungsspezifikationen, Identifikation kritischer Kontrollpunkte (CCP) über den Entscheidungsbaum oder die Schulung des Personals in den HACCP-Grundsätzen. Seitdem hat sich ein solides Sicherheitssystem etabliert, welches die Grundvoraussetzung für ein wichtiges Prinzip des Unternehmens, die Zufriedenheit der Kunden, sei, schilderte Bernikowa. Einmal jährlich werde das System von der Behörde überprüft. Frau Bernikowa berichtete, dass mit der Einführung des Zertifizierungssystems FSSC 22000 in 2019 dem Unternehmen ein wichtiger Schritt zur internationalen Akkreditierung und zur Anerkennung eines höheren Niveaus der Produktsicherheit gelungen sei. Es gebe eine Menge an Dokumenten zur Prozedur der Rückverfolgbarkeit. Wenn die Mühle mit der Qualität von Produkten nicht zufrieden sei, könne sie genau rückverfolgen, von welchem Lieferanten das Produkt geliefert wurde.

Anschließend erläuterte Frau Katja Mieles, Referentin für den Bereich Rohstoffe und Wertschöpfungskette beim Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS e.V. die Marktordnungswaren-Meldeverordnung. Nach dem „Gesetz über Meldungen über Marktordnungswaren“ in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. November 2008 und der „Verordnung über Meldepflichten über Marktordnungswaren“, haben Unternehmen der Fett-, Getreide-, Stärke-, Futtermittel-, Milch- und Zuckerwirtschaft Meldungen über den Einkauf von landwirtschaftlichen Rohstoffen, deren Bestände, Verarbeitung, Absatz sowie die Bestände der hergestellten Erzeugnisse abzugeben. Diese Meldesystem zeige die physischen Bestände und Warenströme in Deutschland bzw. in der EU an, fuhr Frau Mieles fort.

Jährlich meldepflichtig sind alle Mühlen mit einer Jahresvermahlung von über 1.000 t bis 5.000, bei größeren Mengen muss die Meldung monatlich erfolgen.

Erfasst und gespeichert werden die Daten im Online-Meldesystem der Bundesanstalt für Landwirtschaft (BLE), die die Daten veröffentlicht und weiter zur EU leitet. Weitreichende Angaben müssen dort eingetragen werden (Hersteller, Mehltypen, Abnehmer, Geografie etc.). Frau Mieles unterstreicht, dass die Eintragung und Veröffentlichung der Daten den Markt transparenter macht und gute Übersicht über den gesamten Markt gibt. Sie ergänzt, dass das Meldesystem alle Stufen der Wertschöpfungskette bis auf die Landwirtschaft abdecke, die davon ausgenommen sei. Laut Mieles müssten aber auch die Landwirte mit einbezogen werden, um das Puzzle zu vervollständigen.

Frau Mieles stellte die Online Plattform anhand mehrerer Screenshots vor, damit die russischen Kollegen einen Eindruck bekommen konnten, wie das System zur Eintragung der Daten in Deutschland aufgebaut ist.

Sie ging anschließend nochmal auf den bereits von Herrn Buchholz erklärten Artikel 18 der „Basis-Verordnung (EG) Nummer 178/2002“ ein und nannte die wesentlichen Informationen, die ein Lebensmittelunternehmer über seinen Lieferanten bereithalten müsse. Dazu zählen u.a. Name und Adresse des Lieferanten bzw. Kunden, genaue Angaben zu den erhaltenen Produkten, Volumen oder Menge und Chargen- oder sonstige Nummern.

Abschließend unterstrich die Expertin, dass die Kundenanforderungen heutzutage oft über die gesetzlichen Vorgaben hinaus gingen und es individuelle Vereinbarungen gebe.

Herr Schaykin fragte nach, ob es bei den Mühlen ein einheitliches System zur Sammlung der Daten gebe. Dieses gebe es laut Mieles nicht, jedes Unternehmen kann dies individuell handhaben. Sie ergänzte, dass es in der EDV enorme Unterschiede bei den Unternehmen gebe. Einige arbeiten mit SAP, andere noch mit Excel-Tabellen.

Weiterhin erkundigte sich Schaykin über die deutschen Erfahrungen der Mehlhersteller zur Zuverlässigkeit des Rückverfolgbarkeitssystems. Frau Mieles schätze dieses als sehr zuverlässig, da es zum einen sehr engmaschig ist, zum anderen kämen 90 - 95% der Rohwaren aus Deutschland und daher sei die Rohware sehr gut bekannt (Anbau, Lagerung etc.). Trotzdem kann es vor allem witterungsbedingt vorkommen, dass erhöhte Schadstoffe wie z.B. Ergotalkaloide bei der Rohwarenannahme festgestellt werden. Es sei aber noch nie zu größeren Krisen gekommen, so die Expertin.

Herr Buchholz wandte sich anschließend mit folgendem Anliegen an die russischen Kollegen: In Deutschland ist die Landwirtschaft ausgenommen von der Eintragung ihrer Warenmengen in das System der Meldeverordnung. Die Folge: Man weiß nicht, wie viel Ware noch bei den Erzeugern im Lager liegt und wie viel sie schon verkauft haben. Wie ist das in Russland geregelt? Gibt es dort einen guten Überblick, welche Mengen noch bei den Landwirten liegen? Die Frage konnte von den russischen Experten nicht sofort beantwortet werden und wurde im Nachgang vom Zentrum für Getreidequalität schriftlich wie folgt beantwortet: „Die Menge an Getreidebeständen wird anhand mehrerer Indikatoren berechnet. In Kenntnis des Produktionsvolumens und der Übertragungen (einschließlich der Bestände des Interventionsfonds) und des Exportvolumens zu einem bestimmten Zeitpunkt ist es möglich, eine Bilanz und die Menge des auf dem Markt verfügbaren Getreides für den Verbrauch und die Verarbeitung zu bilanzieren. Darüber hinaus erhebt Rosstat diese Daten monatlich bei landwirtschaftlichen Erzeugern (SHTP) und Verarbeitern, um das Volumen des Getreideverkehrs und das Produktionsvolumen zu klären. Fügt man diese Daten zusammen, erhält man ein verlässliches Bild der Getreidebestände.
Das Bundesgesetz vom 30. Dezember 2020 Nr. 520-FZ „Über Änderungen des Gesetzes der Russischen Föderation“ über Getreide und Artikel 14 des Bundesgesetzes „Über die Entwicklung der Landwirtschaft“ in Artikel 17.1 sieht die Entwicklung eines Systems zur Berechnung von Getreide vor, das in landwirtschaftlichen Organisationen (Beständen) gelagert wird. Ein Algorithmus für eine solche Abrechnung ist in Entwicklung.“

Abschließend fasste Herr Schaykin zusammen, dass es zwischen Deutschland und Russland einige Besonderheiten bzw. Unterschiede hinsichtlich der Definition von Rückverfolgbarkeit und der Ausführung der Systeme gebe. Während in Russland in einem System die Rückverfolgbarkeit, die Produktqualität und -sicherheit sowie die qualitative und quantitative Bewertung von Getreide und Getreideprodukten, während in Deutschland der Begriff enger definiert sei und lediglich die Rückverfolgbarkeit „einen Schritt zurück - einen Schritt vor“ umfasse. Daraufhin ergänzte Herr Buchholz, dass eine Gemeinsamkeit die immer relevantere Bedeutung der Rückverfolgbarkeit in der Lebensmittelkette spiele.

Alle Teilnehmer zeigten sich sehr zufrieden mit dem Verlauf des interessanten Austausches. Eine Fortführung des Dialogs und weitere Zusammenarbeit wird von beiden Seiten begrüßt und angestrebt, gerne auch zu weiteren Themen. Transparenz, Regionalität und Rückverfolgbarkeit sind für beide Länder wichtige Themen.

Für Einzelheiten wird auf die jeweiligen Präsentationen verwiesen.

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