Internationale Konferenz für Wissenschaft und Praxis "Rahmenbedingungen der ländlichen Entwicklungen"
Am 28. Oktober 2021 fand die Internationale Konferenz für Wissenschaft und Praxis mit dem Titel „Aktuelle Rechtstrends und Probleme der ländlichen Entwicklung“ unter der Leitung von Dr. Harald Hoppe und Dr. Jelena Galinowskaja statt. Mehr als 70 Teilnehmer nahmen an der Online-Konferenz teil. In der Sitzung wurden aktuelle Ziele, Aufgaben und Methoden der Staatspolitik hinsichtlich der Bedeutung gesetzlicher Regulierung zur Entwicklung ländliche Räume erörtert. Einen Schwerpunktbereich setzte die Rolle der Landwirtschaft, die als wichtiger Arbeitgeber und Treiber der ländlichen Entwicklung gilt. Neben Bestandsaufnahmen und Maßnahmen zur Verbesserung der Perspektiven in ländlichen Regionen, diskutierten die Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik außerdem die positiven und negativen Folgen der Corona-Pandemie und in diesem Zuge die Möglichkeiten der Digitalisierung.
Elena Zlenko, stellv. Vorsitzende des Ausschusses für Agrar-, Ernährungspolitik und Naturnutzung des Föderationsrates der Russischen Föderation (RF) gab zunächst einen Überblick über die Situation in den ländlichen Gebieten in Russland. Demnach lebten dort 23,3 % der Bevölkerung, die aufgrund der „Jugendflucht“ zunehmend älter wird. Nun noch 7,8 Mio. junge Menschen leben in den Dörfern. Um der schrumpfenden Bevölkerung entgegen zu wirken, hat der RF neue Ansätze im Bereich der ländlichen Entwicklung erarbeitet. Besonders wichtig sei die Schaffung von Einkommensquellen und Perspektiven für die jungen Menschen, so Zlenko. Zur Lösung des Beschäftigungsproblems in ländlichen Gebieten sind folgende Maßnahmen vorgesehen: Sozialpaket im Rahmen des Programms „Umfassende Entwicklung des ländlichen Raums“, vergünstigte Zinssätze (3 %), Umsetzung der Programme „Landarzt“ und „Landlehrer“.
Darüber hinaus werden Mittel aus dem Staatshaushalt für die ländliche Entwicklung (Bau von Schulen, Krankenhäusern, Wiederaufbau von Klubs) und die Gasversorgung zur Verfügung gestellt. Ein neuer Schwerpunkt in der Wirtschaftsförderung bildet die „Kreativwirtschaft“, die auf „individueller Intelligenz, Kreativität, Fähigkeiten und Talenten“ beruht. Die Wiederbelebung von traditionellem Kunsthandwerk wie z.B. der Produktion von Matrjoschkas, könne dazu beitragen, den Tourismus ankurbeln. Frau Zlenko schätzt, dass sich die Zahl der Touristen verfünffachen könne. Das Konzept des ländlichen Tourismus wurde in Russland bereits gesetzlich verankert. Ab dem 1. Januar 2022 werden ländliche Gebiete, die Programme für den ländlichen Tourismus umsetzen, gefördert. Dazu zählen z.B. Käsereien, Kunsthandwerk, Marketingmaßnahmen und auch der Ökolandbau.
Abschließend ermutigte die Senatorin, die internationalen Erfahrungen im Bereich der ländlichen Entwicklung im Rahmen dieser Konferenz auszutauschen und in der Praxis bestmöglich anzuwenden. Das sei das Ziel dieser Konferenz und das Potenzial der deutsch-russischen Zusammenarbeit. Sie schlug vor, einen Austausch zwischen landwirtschaftlichen Hochschulen in Deutschland und Russland zu realisieren, der dazu beitragen könnte, junge Menschen in die ländliche Entwicklung einzubeziehen und damit die Abwanderung aus den ländlichen Gebieten zu verringern.
Antje Frehse, Leiterin des Referats „Osteuropa, Zentral- und Ostasien, Erweiterung“ (BMEL) und Co-Vorsitzende des Fachbeirats für ländliche Entwicklung im APD, hob ich ihrem Vortrag „Aktuelle Rahmenbedingungen zur Entwicklung ländlicher Räume in Deutschland“ zunächst die große wirtschaftliche Bedeutung der ländlichen Gebiete. Die Hälfte der Bruttowertschöpfung Deutschlands wird in ländlichen Räumen generiert, in denen 51 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten leben. Der Anteil der Land- und Forstwirtschaft an der gesamten Bruttowertschöpfung betrage laut Frehse aber nur noch 0,7 % (2020).
Frau Frehse verwies auf die regionalen Disparitäten hinsichtlich des Entwicklungszustandes ländlicher Räume, die nicht alle gleich „abgehängt seien“. Es gebe durchaus Regionen, die prosperieren und eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen mit einer guten Grundversorgung bieten. Häufig hätten diese Orte eine gute Anbindung an Zentren und stabile Bevölkerungszahlen. In anderen Regionen wiederum führe Abwanderung, Alterung der Bevölkerung, fehlende Arbeitsplätze, Gebäudeleerstand und angespannte Kommunalfinanzen zu einer Abwärtsspirale.
Um die Wettbewerbsfähigkeit ländlicher Standorte vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung zu bewahren, müsse eine Weiterentwicklung der vorhandenen Fähigkeiten und Kenntnisse durch Bildungseinrichtungen gesichert werden. Frau Frehse hob hervor, dass die Digitalisierung zu einer teilweisen Entkopplung von Wohn- und Arbeitsort führte und dies eine freie Wohnortwahl ermögliche. So würden sich nun wieder mehr junge Menschen für ein Leben in ländlichen Regionen interessieren. Für die Zukunft beschrieb Frau Frehse eine weitere große Chance für den ländlichen Raum. Der Ausbau der erneuerbaren Energien findet fast ausschließlich im ländlichen Raum statt und schaffe Arbeitsplätze. Auch die sogenannten Hidden Champions aus Handwerk und Dienstleistung sowie der zunehmende Tourismus florierten.
Abschließend gab Frau Frehse einen Einblick in die Neuausrichtung der Strukturpolitik des gesamtdeutschen Fördersystems, das ab dem 1. Januar 2020 neue Fördertatbestände für strukturschwache Regionen festlegte. Frau Frehse sieht die Fokusänderung von einer West-Ostbetrachtung zu einer Festlegung und Definition von strukturschwachen Regionen als Erfolg für die Politik der ländlichen Entwicklung. Die 2018 vom Bund gegründete Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse war ein wichtiger Meilenstein, auf den die neue Regierung aufbauen könne.
Auf den Vortrag von Frau Frehse baute die Präsentation von Dr. Cordula Woeste, Referatsleiterin für Regionale und kulturelle Identität im Bundesministerium des Innern, auf. Unter dem Titel „Gleichwertige Lebensverhältnisse – Bessere Chancen für ländliche Entwicklung in Deutschland?“, veranschaulichte Dr. Woeste einige Ergebnisse der Projekte zur Förderung der ländlichen Regionen. Das Ziel der Arbeit Ihres Ressorts sei es, gleiche Chancen auf Wachstum, Beschäftigung und Teilhabe für alle in Deutschland lebenden Menschen in Stadt und Land zu generieren. Dabei spielen neben den „klassischen“ Faktoren wie dem Ausbau der Infrastruktur und der Schaffung von Arbeitsplätzen auch kulturelle Angebote zunehmend eine Rolle. Eine kulturelle Teilhabe soll z.B. durch digitale Theater oder Opern ermöglicht werden, in denen Live-Konzerte aus Großstädten auf Leinwände live in die ländlichen Orte übertragen werden.
Ein in den vergangenen Jahren vom Bund priorisiertes Thema war der Ausbau der Breitbandversorgung, der in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr langsam voranschreitet. Frau Dr. Woeste stellte anhand einer Deutschlandkarte anschaulich dar, welche großen Fortschritte seit 2017 nun erreicht werden konnten. Mittlerweile sei der Großteil Deutschlands mit einer Breitbandgeschwindigkeit von mindestens 50 Mbit/s versorgt. Hinsichtlich der Schaffung neuer Arbeitsplätze erläuterte Frau Woeste ein Projekt des Bundes zur Schaffung von 15.000 neuen Stellen, die vor allem in Regionen der ehemaligen Bergbauindustrie geschaffen wurden bzw. werden.
Abschließend gab Frau Dr. Woeste eine Einschätzung zu der zukünftigen Ausrichtung der Politik für die ländliche Entwicklung unter der neuen Regierung ab. Erste Ergebnisse aus den Sondierungsgesprächen ließen vermuten, dass auch im neuen Koalitionsvertrag die Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen von Stadt und Land thematisiert werde und ländliche und strukturschwache Regionen weiterhin finanzielle Förderungen erhielten.
Als weitere Referenten der Konferenz sprachen: Professor Sergei Bogoljubow (Vortragstitel: „Rechtlicher Schutz der Umwelt ländlicher Siedlungen“), Professorin Natalja Woronina (Vortragstitel: „Die Rolle der landwirtschaftlichen Kooperation bei der Entstehung ländlicher Räume“), Schachmardan Mudujew (Vortragstitel: „Entwicklung der ländlichen Berggebiete von Dagestan), Alexej Naumow (Vortragstitel: „Räumlich-differenzierter Ansatz zur Entwicklung ländlicher Räume: Auslandserfahrung und russische Realitäten“) sowie Professor Stanislaw Lipski (Vortragstitel: „Zielprogramme als Instrument der ländlichen Entwicklung“).
Zusammenfassend hob Dr. Jelena Galinowskaja die zwei Bereiche der Förderpolitik in der Russischen Föderation hervor, wie sie in strategischen Planungsdokumenten zur Raum- und Regionalentwicklung festgelegt sind: 1. die Entwicklung des ländlichen Raums im Rahmen der Land- und Ernährungswirtschaft und 2. als Teil des Gesamtprozesses der staatlichen Förderung der Raumentwicklung. Die Entwicklung des ländlichen Raums in Russland werde nun nicht mehr zu einer Neben-, sondern zur Hauptrichtung der staatlichen Politik. Herr Hoppe betonte in seinem Schlusswort, dass diese Konferenz die Vielfalt der regionalen Herausforderungen, die differenzierten Anforderungen und die unterschiedlichen Voraussetzungen in den Regionen deutlich gezeigte habe, so dass ein einheitlich integraler Ansatz zur Förderung ländlicher Räume nicht sinnvoll sei. Vielmehr bedarf es regionalen Förderansätzen um auf die individuellen Gegebenheiten eingehen zu können.